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Das österreichische Sozialsystem ist regelmäßig 

Thema politischer Diskussionen. „Es wird immer 

darüber gesprochen, ob wir uns einen so teuren 

Sozialstaat leisten wollen“, sagt Gerstorfer, „ich 

hoffe, dass der Spardruck auf das Sozialsystem 

sich in Zukunft durch ein besseres Bewusstsein 

aufgrund der Krise reduziert.“ Die richtige Frage 

sei nicht das „Ob“, sondern das „Wie“. Im Ver-

gleich zu anderen europäischen Ländern lukriert 

Österreich nur wenige Einnahmen aus Vermö-

gen. Während der OECD-Schnitt bei 5,6 Pro-

zent liegt, sind es in Österreich nur 1,3 Prozent –  

im europäischen Vergleich ist das der drittletzte 

Platz. „Deswegen sollten Erbschafts- und Vermö-

genssteuern wieder diskutiert werden“, sagt sie. 

Zu wenig Geld für Pflegesystem 

Insgesamt sieht Gerstorfer drei Schwachstellen 

des Sozialsystems. „Erstens gibt es immer noch zu 

viele Menschen, die unter 1.700 Euro brutto ver-

dienen, zweitens ist die Nettoersatzrate im Falle 

der Arbeitslosigkeit nur 55 Prozent, während in 

anderen Ländern bis zu 90 Prozent gezahlt wer-

den, und drittens wenden wir zu wenig für unser 

Pflegesystem auf.“ Während in Österreich etwa 

1,5 Prozent des BIPs dafür ausgegeben werden, 

ist es in skandinavischen Ländern doppelt so viel. 

Gerstorfer: „Mit mehr Geld könnten wir die Löh-

ne in der Pflege erhöhen, hätten weniger Arbeits-

verdichtung und in der Folge kein Personalprob-

lem in der Pflege.“ 

Dass diese Personalprobleme überhaupt zu be-

wältigen sind, ist auch Verdienst der 24-Stunden-

Pflege durch Personenbetreuer vorwiegend aus 

der Slowakei, Slowenien und Rumänien. „Wäh-

rend der Krise kam es nie zu einem Pflegenot-

stand, weil fast 95 Prozent aller Pflegerinnen über 

Monate dageblieben sind und nicht wie bisher 

alle vierzehn Tage vorübergehend in die Heimat 

gereist sind“, sagt Bernhard Eckmayr, Fachgrup-

pengeschäftsführer der Sparte Personenberatung 

und Betreuung der Wirtschaftskammer Ober-

österreich, „da wurde unglaubliches geleistet, 

sie sind extrem pflichtbewusst und verlässlich.“ 

Etwa 4.500 Familien nehmen in Oberösterreich 

im Schnitt eine 24-Stunden-Betreuung in An-

spruch, die Zahl ist während Corona nicht ge-

stiegen. „Trotz staatlicher Fördermaßnahmen wie 

Pflegegeld ist die 24-Stunden-Pflege aber keine 

Dienstleistung, die sich jeder leisten kann“, sagt 

Eckmayr, „das geht sich nur aus, wenn derjenige 

auf eine einigermaßen vernünftige Pension zu-

rückgreifen kann.“ Um die Abhängigkeit von der 

Betreuung aus dem Ausland zu reduzieren, setzt 

sich die Fachgruppe stark für eine Pflegelehre ein. 

„Derzeit wird der Beruf meist nur am zweiten Bil-

dungsweg ergriffen, durch die Lehre könnte man 

aber auch Schulabgänger direkt abholen“, sagt 

Eckmayr. Er kann sich die Pflege auch als attrak-

tiven Beruf für die nächste Generation vorstellen: 

„Gerade für jene, die viel Wert auf eine Work-

Life-Balance legen, kann die Branche durch 

die vielen Teilzeitarbeitsplätze attraktiv sein.“ 

 

Bewährtes Gesundheitssystem 

Auch für Andreas Huss ist ein Ausbau des Pflege-

systems in Österreich wichtig. „Wir sehen, dass 

bei uns zu wenige Pflegekräfte ausgebildet wer-

den. Um das zu ändern, bräuchte es eine Attrak-

tivierung der Arbeitszeit – bei einem trotzdem 

vernünftigen Einkommen“, sagt Huss, der als 

Sozialsystemexperte gilt und höchster Arbeitneh-

mervertreter in der österreichischen Gesund-

Unser derzeitiges 

Sozialsystem ist gut, ich sehe 

aber die Gefahr, 

dass es tendenziell 

bergab geht.

Andreas Huss

Arbeitnehmer-Vertreter, ÖGK

Erbschafts- und 

Vermögenssteuern sollten 

wieder diskutiert werden.

Birgit Gerstorfer

Soziallandesrätin Oberösterreich