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SO
SOZIAL IST ÖSTERREICH
Text Valentin Lischka
Foto Huss: ÖGK Salzburg /
Andreas Brandl;
Gerstorfer: Land OÖ;
Haimbuchner: Hermann
Wakolbinger
Illu Gettyimages
Mehr als 1,3 Millionen Menschen in Österreich
waren im Mai zur Kurzarbeit angemeldet, mehr
als 517.000 ohne Job. „Ohne Kurzarbeit hätte
sich die Arbeitslosigkeit vermutlich nicht verdop-
pelt. sonder verdrei- oder vervierfacht“, sagt die
oberösterreichische Soziallandesrätin Birgit Gers-
tofer (SPÖ). Mit Arbeitslosigkeit kennt sie sich
aus: Sie arbeitete insgesamt 26 Jahre beim AMS.
„In dieser Zeit habe ich verschiedenste Facetten
und Auswirkungen der Arbeitslosigkeit gesehen“,
sagt sie, „als Soziallandesrätin hat sich mein Ho-
rizont dann um Gruppen erweitert, die nicht im
erwerbsfähigen Alter sind und staatliche Hilfe
brauchen, etwa Kinder und Jugendliche, die in
ihren Elternhäusern keine Geborgenheit finden.“
Das österreichische Sozialsystem schätzt sie im
internationalen Vergleich als sehr gut ein. Ohne
Kurzarbeit hätte sich die Arbeitslosigkeit ver-
mutlich nicht verdoppelt, sondern verdrei- oder
vervierfacht. Auch das Gesundheitssystem habe
sich als Sicherheitsanker während Corona bestä-
tigt, sagt Gerstorfer. „Ich bin mir sicher, dass wir
durch unser öffentlich finanziertes Gesundheits-
system mit einer hohen Anzahl an Betten deutlich
geringere Probleme in der Krise hatten als Länder,
in denen privatisiert oder krankgespart wurde“,
sagt sie.
Ein „sehr gutes“ Gesundheitssystem hat Öster-
reich auch, wenn es nach Bernhard Wurzer, dem
Generaldirektor der Österreichischen Gesund-
heitskasse (ÖGK), geht. Die Gesundheitskas-
se stellt für 7,2 Millionen Versicherte und ihre
Angehörigen unabhängig von sozialem Status
und finanziellem Hintergrund eine hochwertige
Gesundheitsversorgung sicher. „Wir liegen im
OECD-Vergleich im Spitzenfeld und erhalten
regelmäßig Bestnoten, hervorgehoben werden
etwa die niedrigen Verwaltungskosten oder die
flächendeckende niedrigschwellige Versorgung“,
sagt Wurzer. Während der Krise habe sich das
österreichische System gut bewährt. „Wir konn-
ten etwa rasch telemedizinische Behandlungen
anbieten – und haben unseren Vertragspartnern
auch ermöglicht, diese genauso wie persönlich
erbrachte Leistungen abzurechnen“, schildert
er. Wie sich die Coronakrise wirtschaftlich auf
die ÖGK auswirken wird, ist derzeit noch nicht
genau absehbar. „Die hohe Arbeitslosigkeit hat
natürlich auch Auswirkungen auf uns, geringe-
re Beiträge der Dienstnehmer und gestundete
Beiträge der Dienstgeber schlagen im Budget
auf, derzeit kann man aber noch nicht sagen,
wie hoch der Finanzbedarf schlussendlich sein
wird.“
Die höchste Arbeitslosenzahl seit 1945, Kurzarbeit und ein beanspruchtes
Gesundheitssystem: Die Coronakrise ist auch ein Belastungstest für unser
Sozialsystem. Wie gut ist es, wo gibt es Schwächen? Und wie können auch in
Zukunft die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft aufgefangen werden?