76

wie, wann und wo sie ihren Gestaltungs-

willen ausüben“, so Schernthaner. 

Vor allem Mitarbeiter, die aus patriar-

chisch geführten Familienunternehmen 

und aus großen Konzernen kommen, tun  

sich anfangs schwer, diesen Freiraum aus-

zuleben. „Die vermissen 800 Seiten, auf 

denen ihnen genau gesagt wird, wie sie rei-

sen dürfen, wann sie Pause machen kön-

nen, wann sie anwesend sein sollen. Die 

sind gewohnt, dass es für alles Richtlinien 

gibt. So haben sie verlernt, frei zu den-

ken, weil es für jeden Arbeitsschritt eine 

Beschreibung und Vorgabe gibt.“ Nach 

drei Monaten komme meist der Knack-

punkt, wo manche dieser Mitarbeiter 

die Firma wieder verlassen, weil sie mit 

so viel Freiraum nicht zurechtkommen, 

andere werden von der Dynamik mitge-

zogen. „Es gibt keinen Leitfaden, man 

kann es nur on the job lernen.“ Und die 

junge Generation an Mitarbeitern fordere 

ohnehin zunehmend diesen Gestaltungs- 

freiraum. 

2012 gegründet, spezialisiert 

sich die Schur Flexibles Holding 

GesmbH auf Verpackungen, vom 

Rohstoffeinkauf bis zur Herstel-

lung. Mittlerweile beschäftigt der 

Konzern mit Hauptsitz in Wiener 

Neudorf und einem Jahresum-

satz von circa 550 Millionen Euro 

1.750 Mitarbeiter in 23 Produkti-

onswerken. Neben der Lebensmit-

telindustrie zählen auch Betriebe 

aus den Bereichen Pharmazeutik, 

Kosmetik sowie Tabakwaren zu 

den Kunden von Schur Flexibles.

Schur Flexibles

 

Das klingt erst einmal nach paradiesischen 

Arbeitsbedingungen. Urlaub machen, so 

oft und wann immer man will. Jederzeit 

Homeoffice-Tage einlegen. Nicht vor zehn 

erscheinen. Und um vier zum Sporttrai-

ning abdampfen. Aber übt genau diese 

Freiheit nicht noch mehr Druck aus als 

gewisse Regeln und die Grenze zwischen 

Freizeit und Arbeitszeit? Kommt dann 

nicht der Druck hinzu, sich umso mehr 

beweisen zu müssen? Michael Schern-

thaner antwortet mit einer Gegenfrage: 

„Brennt man jemals aus, wenn man ein 

Hobby macht?“ Klar könne es Tage ge-

ben, wo man’s übertreibt. Aber wie beim 

Sport gehe es dann darum, zu lernen, auf 

die Signale seines Körpers zu achten. Der 

Begriff „Work-Life-Balance“ würde ver-

schwinden, ist Schernthaner überzeugt. 

Man versuche nicht mehr, Arbeit und 

Leben zu trennen, wie das Hobby sei die 

Arbeit ein Teil des Lebens. Macht etwa 

ein Mitarbeiter sieben Wochen Urlaub im 

Jahr, dann „wird er sich im Hotel einen 

Raum suchen, wo er immer wieder Zeit 

für seine Arbeit hat – so wie er sich Zeit 

nimmt, laufen zu gehen“, erklärt der CEO. 

Der Führungsstil bewirke nicht, dass je-

mand mehr oder weniger arbeitet, sondern  

effizienter. 

Fairness? Ja, das geht. 

Wäre da nicht die Sache mit dem Neid. 

Der Kollege ist fast nie da, während man 

selbst das Gefühl hat, den Laden quasi al-

lein schmeißen zu müssen. Wenn da mal 

keine Konflikte vorprogrammiert sind. 

„Fairness funktioniert nur mit leistungsab-

hängigen Parametern“, sagt Schernthaner. 

Deshalb habe er ein System mit einem 

variablen Anteil des Gehaltes eingeführt. 

Am Anfang des Jahres werden gemeinsam 

Ziele vereinbart, großteils persönliche und 

natürlich das verbindende Ziel des wirt-

schaftlichen Erfolges des Unternehmens. 

Im Halbjahr wird Zwischenbilanz gezogen 

und dann kann es natürlich vorkommen, 

dass jemand am Ende des Jahres nur 80 

Prozent seiner Ziele erreicht hat. Weil er 

etwa seinen Fokus auf etwas anderes in 

seinem Privatleben gelegt hat. „Damit es 

fair bleibt, bekommt derjenige dann 80 

Prozent des variablen Gehaltanteils.“ Und 

was, wenn jemand 150 Prozent der ausge-

machten Ziele erreicht, also so euphorisch 

gearbeitet hat, dass er weit mehr erreicht 

hat, als vereinbart wurde? „Das wird zwar 

vom Unternehmen nicht erwartet, aber 

auch das wird abgegolten“, so Scherntha-

ner. Ob so ein Führungsstil auch ohne 

leistungsabhängige Parameter funktionie-

ren könnte? Schernthaner schüttelt den 

Kopf. „Ich glaube nicht. Zumindest nicht 

auf faire Weise.“ 

Nichts fürs große Ego. 

Für jeden Unternehmer sei dieses System 

aber nicht geeignet. „Wer so viel Verant-

wortung seinen Mitarbeitern übergibt, 

braucht Geduld, sollte nicht der struk-

turliebendste Mensch sein und sollte vor 

allem nicht das ausgeprägteste Ego haben“, 

sagt der Geschäftsführer und lacht. „Denn 

hier sind Sie als CEO nicht der Generaldi-

rektor von Österreich, der in jeder Zeitung 

erscheint und das Unternehmen immerzu 

nach außen vertritt.“ Hier vertreten viele 

Leute das Unternehmen, tragen viele Leu-

te das Wertesystem und „hier interpretiert 

man mich als Teil des Unternehmens“. 

Sein Ego halte das aber sehr gut aus, fügt 

er hinzu. Schwierig sei hingegen die Ge-

setzeslage für so eine Arbeitsweise. Denn 

wo ist der Mitarbeiter versichert, wenn er 

nicht im Unternehmen arbeitet? In jeder 

Betriebsvereinbarung braucht man eigent-

lich eine Gleitzeitregelung. „Das heißt, 

man stoßt immer wieder an gesetzliche 

Grenzen, wenn man dieses System wirk-

lich durchsetzen möchte“, erklärt Schern-

thaner. Die gesetzliche Regelung sieht 

außerdem vor, dass der Geschäftsführer 

derjenige ist, der sich im Fall des Falles vor 

Gericht verantworten muss. „Und solange 

das so ist, sollte man dem Geschäftsfüh-

rer auch das Recht geben, die finale Ent-

scheidung zu treffen.“ Das störe aber in 

so einem System nicht. „Gestaltungswille 

bedeutet hier, etwas zur Entscheidung 

beizutragen, seine Ideen berücksichtigt zu 

wissen“, so Schernthaner. Dass er es am 

Ende ist, der die Entscheidung schließlich 

trifft, finde unter seinen Leuten große Ak-

zeptanz. „Dabei ist nur eines wichtig: Dass 

ich erkläre, warum ich so entschieden 

habe. Sodass die Leute verstehen können, 

warum ihr Beitrag diesmal auf diese oder 

jene Art miteinbezogen wurde.“_