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Ein weißes Blatt Papier, dazu Bleistift, Ra-
diergummi und Spitzer: Wenn Thomas
Feichtner seine Ideen entwickelt, zieht er
sich in sein hermetisch abgeriegeltes Ate-
lier in Wien-Neubau zurück – ganz ohne
Internet und Elektronik. „Das Schöne am
Skizzieren am Papier ist, dass die Dinge
noch nicht so konkret sind wie am Com-
puter, wo alles schon die richtigen Maße
haben muss“, schildert der vielfach preis-
gekrönte Industrie- und Produktdesigner
seinen Schaffensprozess. „Erst wenn ich
fertig bin, mache ich eine Recherche im
Internet, ob der Entwurf auch tatsächlich
originell und unique ist. Denn Innovation
ist für mich der Drang, aus der Welt her-
auszutreten und sie neu zu denken.“
Die stetige Suche nach neuen Zugängen
und Blickwinkeln beschäftigt nicht nur
Menschen der Design- und Kreativbran-
che: Innovation ist der Motor der heimi-
schen Wirtschaft, betonen Politik und
Unternehmen unisono – gerade in einem
Land, das sich auf dem globalen Markt
mit der Positionierung als Qualitätsführer
gegen Billiglohnländer durchsetzen muss.
Sowohl bei den Patenten als auch bei den
Ausgaben für Forschung und Entwicklung
(F&E) gehen die Zahlen kontinuierlich
nach oben. Doch abgesehen von finan-
ziellen Mitteln und kreativen Einfällen:
Was braucht es wirklich, damit Innovation
gelingen kann? Und wie wird daraus ein
marktreifes und erfolgreiches Produkt?
Die zerstörerische Kraft
Das Wörtchen „innovativ“ darf heutzuta-
ge in der Selbstbeschreibung von Unter-
nehmen scheinbar nicht fehlen und läuft
damit Gefahr, zu einer ähnlich schwam-
migen Worthülse wie „Qualität“ oder
„Nachhaltigkeit“ zu verkommen. „Sogar
mein Friseur behauptet, dass er innova-
tiv ist“, schmunzelt Michael Rabl. „Aber
kaum jemand versteht, was es wirklich be-
deutet: Innovation ist eine zerstörerische
Kraft, für die ich etwas Gewohntes loslas-
sen und wegschmeißen muss“, erklärt der
Dekan der Fachhochschule Wels, der den
Studiengang Innovations- und Produkt-
management leitet.
Grundsätzlich unterscheidet die For-
schung zwei Formen der Innovation: die
Exploitation, also die schrittweise Wei-
terentwicklung des Tagesgeschäfts auf der
einen Seite, und die Exploration, die Su-
che nach gänzlich Neuem auf der anderen.
„Die inkrementelle Verbesserung bestehen-
der Produkte und Prozesse macht jeder
gern, denn wer will nicht besser werden?
Mit radikaler Veränderung sieht es schon
anders aus“, so Rabl. Als Beispiel für feh-
lenden Mut und die mitunter desaströsen
Folgen daraus nennt er den Niedergang
von Kodak durch die digitale Fotografie –
eine Technik, die das Unternehmen schon
jahrzehntelang in der Schublade hatte und
unter Verschluss hielt. „Hätten die das
damals weiterverfolgt, hätten sie die Fo-
tografie lückenlos bis heute beherrschen
können.“
Anschlag auf Kollegen
Daher gelte es, Rahmenbedingungen zu
schaffen, um die Hemmschwelle vor ra-
dikalen Veränderungen zu überwinden.
„Disruptive Innovationen kann man nicht
in bestehenden Strukturen verwalten“,
findet auch Axel Kühner, CEO des Kunst-
stoffspezialisten Greiner. „Deshalb haben
wir mit Greiner Technology & Innovation
(GTI) eine eigene Gesellschaft gegründet,
die ganz bewusst bestehende Geschäftsfel-
der disruptiert und quasi einen Anschlag
auf die eigenen Kollegen plant: Wenn sich
irgendwo neue Geschäftsfelder auftun,
dann wollen wir sie nicht der Konkurrenz
überlassen, sondern es selber machen.“
Während die inkrementellen Produkt-
neuerungen in den bestehenden Sparten
der Greiner Gruppe entwickelt werden,
forscht man in der GTI zum Beispiel an
eigenen Spritzgusswerkzeugen oder 3D-
Druckanwendungen. „Hier entsteht et-
was, das sonst im Alltagsgeschäft nicht viel
Raum hat“, beschreibt Kühner. Ein eige-
nes Budget stellt sicher, dass Ideen nicht
in den Grabenkämpfen zwischen verschie-
denen Abteilungen verloren gehen. „Ich
muss Innovationen nicht nur mit Worten,
sondern auch mit Geld unterstützen.“ Ge-
steuert werden die Projekte „direkt über
mich, sonst ist es nicht glaubwürdig“, be-
tont Kühner.
Richtig abheben
Ein ähnliches Modell hat auch Palfinger,
der Hersteller von „Lifting Solutions“, ge-
wählt: „Unsere klassische F&E-Abteilung
beschäftigt sich mit den Kunden, die wir
schon kennen“, schildert CEO Andreas
Klauser. „Palfinger 21st befasst sich mit
Themen, die wir noch nicht einmal selbst
genau kennen.“ Direkt der Geschäftsfüh-
rung unterstellt, ist es die Aufgabe des
Unternehmensbereichs, „out of the box
zu denken, sich Geschäftsmodelle und
Innovationen, die nicht unmittelbar mit
Lifting Solutions zu tun haben, anzuse-
hen und diese weiterzudenken“.
Ein zweistelliger Millionenbetrag wurde
in die Schaffung von Palfinger 21st inves-
tiert, die 25 Mitarbeiter sind – auch geo-
graphisch von der Unternehmenszentrale
in Bergheim bei Salzburg getrennt – im
Start-up-Cluster weXelerate in Wien an-
gedockt. „Bei vielen Unternehmen ist die
Weiterentwicklung der Produkte und die
Kreative Ideen sind das eine, die Entwicklung neuartiger Produkte und Dienstleistungen das
andere: Innovation braucht
verspielte Freiräume und disziplinierte Struktur
– und die gewisse
Portion
Mut
, die unternehmerische Komfortzone zu verlassen.
Redaktion_Bernhard Lichtenberger
Fotografie_Thomas Feichtner Studio; Bergsmann: WKOÖ / Sparte Industrie;
Kühner: Greiner AG; Klauser: Palfinger; Keim: Core Smartwork; Rabl: Lukas Beck
Illustration_Gettyimages
WIE INNOVATION GELINGT