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bekommen habe. Nach vier Wochen habe
ich es abgesetzt und bin mein altes Pro-
gramm weitergefahren. Anfang 2013 ist es
dann wirklich kritisch geworden.
Wie kann man zweimal in
dieselbe Situation geraten?
Kujal
_Ich war wieder zu stolz, die Diag-
nose Burnout anzunehmen. Und es war
mir peinlich: Was will man als Motivati-
onstrainer den Leuten sagen? Also habe
ich begonnen, mein komplettes Umfeld
massiv zu belügen. Ich bin mit meiner da-
maligen Verlobten gemeinsam aufgestan-
den, habe irgendwelche Termine erfunden,
und als sie in die Arbeit gegangen ist, bin
ich auf der Couch zusammengebrochen.
Es war eine brutale Anstrengung, mich an-
zuziehen und aus der Wohnung zu gehen.
Und es wurde täglich ärger, weil ich nicht
mehr schlafen konnte, obwohl ich jeden
Abend todmüde ins Bett gefallen bin.
Hat denn in dieser Situation
niemand Warnsignale bei
Ihnen wahrgenommen?
Kujal
_Ich habe meine Fassade so weit
aufrechterhalten, dass keiner gespürt hat,
wie schlecht es mir wirklich ging. Ich bin
dann doch wieder zu meinem Arzt, und
er hat, bevor ich überhaupt Platz nehmen
konnte, gesagt, er ruft die Rettung, damit
sie mich in die Psychiatrie nach Baden
bringt. Ich hab gleich geantwortet, das
mache ich sicher nicht. Wir haben zu strei-
ten begonnen und ich musste auf meine
Kinder schwören, dass ich mich ins Spital
bringen lasse, wenn es mir noch schlech-
ter geht. Zwei Tage später wurde mir bei
einer Besprechung richtig speiübel, ich
habe sie abgebrochen und meinen Arzt
angerufen. Der war nicht erreichbar. Und
in dieser totalen Verzweiflung habe ich die
Entscheidung getroffen, dass ich einen Ab-
gang mache. Ich habe nur mehr überlegt,
wo ich runterspringe. Und während ich
meine letzte Zigarette rauche, ruft mich
mein Arzt zurück. Ich habe abgehoben
mit den Worten: „Es ist zu spät.“ Der Arzt
hat richtig reagiert und mich nur gefragt,
wo ich bin und wer mich abholen kann,
damit ich sofort ins Krankenhaus komme.
Wie ging es dort weiter?
Kujal
_Wegen der Selbstmordgefahr war
ich die ersten drei Tage in einem video-
überwachten Zimmer und habe die ärgs-
ten Medikamente bekommen. Nach drei-
einhalb Wochen wurde ich entlassen und
habe dank meiner Flexibilität relativ rasch
einen Reha-Platz in Hollenburg bei Krems
bekommen. Dort ist mir erst so richtig
bewusst geworden, dass ich mich fast um-
gebracht hätte. Da war für mich klar, ich
muss was tun. Also habe ich Bücher zum
Thema gelesen, mit den Therapeuten über
Burnout gesprochen und die anderen Pa-
tienten befragt: Wie es ihnen geht, wie sie
reingeschlittert sind, was ihre Ursachen
waren, welche Symptome sie gehabt ha-
ben. Daraus ist mein Programm „Burnout.
Meine Geschichte“ entstanden, das ich im
November 2013 zum ersten Mal auf die
Bühne gebracht habe. Der Veranstaltungs-
ort war innerhalb einer Woche ausverkauft.
Offenbar gibt’s einen Bedarf.
Wie schwierig ist es, auf einer Bühne
über das eigene Burnout zu sprechen?
Kujal
_Nach außen hin reagieren prak-
tisch alle positiv, aber nicht jeder hat wirk-
lich Verständnis. Mit meiner Offenheit
habe ich garantiert Kunden vergrault, aber
das war mir wurscht. Ich habe das Glück
gehabt, den richtigen Arzt zu haben und
dass ich, obwohl ich so deppert war, mir
lange nicht helfen zu lassen, noch eine
Chance bekommen habe. Burnout ist
eine extrem krasse, aber auch, wenn man
die Kurve kriegt, eine sehr lehrreiche Er-
fahrung.
Was haben Sie denn aus
dem Burnout gelernt?
Kujal
_Ich habe Ordnung in meinem Le-
ben geschaffen. Alles, was seit Jahren in
meinem Kopf herumgegeistert ist, habe
ich gesammelt – ein Buch und ein Kaba-
rettprogramm schreiben, als Trainer durch-
starten, die Stadthalle füllen, Hamburg
besuchen. Nach dem Brainstorming bin
ich jede Zeile durchgegangen und habe
überlegt, was mir noch wichtig ist und
was nicht. Nebenbei bin ich weiterhin in
Therapie gegangen, um zu ergründen, wel-
che Tropfen mein Fass gefüllt haben. Mein
Stiefvater hat mich extrem streng erzogen,
weil er aus mir den perfekten Sohn formen
wollte. Er hat mir nie das Gefühl gegeben,
dass das, was ich mache, gut ist. Ich habe
die Bühne gebraucht, um diese fehlende
Anerkennung zurückzuholen. Das war
mir vor dem Burnout nicht bewusst. Seit-
her lasse ich jeden Abend im Bett den Tag
für mich Revue passieren, was ich wirklich
gut gemacht habe.
Wie hat sich Ihre berufliche
Laufbahn seither verändert?
Kujal
_Durch das Burnout und die lange
Rehabilitation ist meine damalige Firma
komplett gegen die Wand gefahren. Wirk-
lich ins Arbeitsleben bin ich erst wieder im
November 2014 eingestiegen – als Voll-
zeitangestellter, weil ich völlig verschuldet
war. Nebenbei war ich als Trainer, Mo-
derator und Coach teilselbstständig. Im
vergangenen Sommer habe ich die Talen-
teschmiede gegründet: Das Kerngeschäft
ist, dass mich Firmen europaweit beauf-
tragen, dass ich ihnen Mitarbeiter für den
Außendienst und den Vertrieb rekrutiere
und die verkäuferische Ausbildung mache,
sie als Coach begleite und für diese Firmen
die Verkaufsprozesse optimiere. Zusätzlich
habe ich mir im Februar 2019 meinen Ju-
gendtraum erfüllt und ein kleines Lokal in
Mödling übernommen: Das Domizil ist
untertags ein gemütliches Kaffeehaus und
abends eine lässige Bar.
Das klingt nach einem
erheblichen Arbeitspensum.
Kujal
_Ich brauche eine Beschäftigung
und will bis an mein Lebensende arbeiten.
Vielleicht nicht mehr in vollem Ausmaß,
aber immer so, dass ich mit meiner abend-
lichen Selbstprüfung sagen kann, dass ich
gut in Balance bin.
Das ist oft leichter gesagt als
getan. Sie haben viel mit anderen
Burnoutbetroffenen gesprochen.
Wer ist besonders gefährdet?
Kujal
_Mittlerweile jeder arbeitende
Mensch. Im Radio wird schon am Montag
der Countdown für Freitag eingeläutet, als
wäre Arbeit an sich etwas Schlechtes. Da
stelle ich mich dagegen. Ich bin seit mei-
nem Burnout der Überzeugung, dass jeder
Mensch einen Grund hat, auf der Welt zu
sein: um anderen Menschen zu helfen und
ihr Leben angenehmer zu gestalten. Und
das ist der Grund, warum ich die Vorträge
über Burnout immer noch mache.
Die richten sich nicht nur an
Betroffene, sondern auch an
Unternehmer. Worauf können diese
achten, damit ihre Mitarbeiter kein
Burnout bekommen?
Kujal
_Es ist auch für ein Unternehmen
extrem mühsam, wenn ein Mitarbeiter
lange ausfällt. Daher ist es sinnvoll, prä-
ventiv zu handeln und den Mitarbeitern
das Gefühl zu geben, dass sie ernst genom-
men werden. Das gehört zum modernen
Unternehmertum dazu._