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tens die Demografie – es werden immer
mehr Menschen ein höheres Lebensalter
erreichen, gleichzeitig werden weniger
Menschen auf dem Arbeitsmarkt aktiv
sein. Zweitens die Digitalisierung: Die
müssen wir als öffentlicher Träger ganz
wach verfolgen und die großen Chancen
nützen, weil Digitalisierung Menschen
ein selbstbestimmtes Leben in den eige-
nen vier Wänden ermöglicht. Gleichzeitig
muss man darüber nachdenken, wie viel
wir von unseren medizinischen und Le-
bensentscheidungen an automatisierte Al-
gorithmen übergeben. Das dritte Thema
ist die unglaubliche Dynamik der Medi-
zin, etwa Gentherapie und -analyse, Big
Data, Microrobotics und so weiter.
Eine offene Zukunftsfrage ist auch
jene nach der Finanzierung.
Harnoncourt
_Das Thema ist nicht pri-
mär Aufgabe der Gesundheitsholding.
Gesellschaftspolitisch relevanter ist für
uns die Frage, wie wir genügend Men-
schen gewinnen können, diese wichtigen,
bereichernden und für die Gesellschaft
unverzichtbaren Berufe zu ergreifen. Da
braucht es Fantasie, wie man die Bedarfe
der Menschen, die im Gesundheitswesen
arbeiten, und die Bedürfnisse der Men-
schen, die zum Beispiel 24/7 betreut wer-
den müssen, in Einklang bringen kann.
Das dürfte vor allem in ländlichen
Regionen zunehmend schwierig
werden. Dort mangelt es immer
öfter an Haus- und Fachärzten.
Nicht nur deshalb stürmen viele die
Spitalsambulanzen. Wie wollen Sie hier
den Druck bei den Krankenhäusern
rausnehmen?
Harnoncourt
_Wir sind hier gefordert,
mit unseren Systempartnern, insbesonde-
re Sozialversicherung und Ärztekammer,
an modernen Konzepten wie Primärver-
sorgungseinheiten weiterzuarbeiten. Ich
bringe da aus Deutschland schon viel
Erfahrung mit. Was wir vor Augen ha-
ben müssen, ist, dass die nächste Gene-
ration gern im Team arbeitet, planbare
Arbeitszeiten will und organisatorische
und bürokratische Themen nicht als ihre
Kernaufgabe sieht. Da müssen wir Rah-
menbedingungen schaffen, um regionale
Versorgung sicherzustellen.
Zugleich haben Sie angekündigt,
dass sich manche Krankenhäuser auf
bestimmte medizinische Bereiche
Baustellen stellt man sich gemeinhin et-
was ungeordneter vor: Lediglich ein lose
aus der Wand ragendes Computerkabel
zeugt im klimatisierten Besprechungs-
raum davon, dass der Umbau der landes-
eigenen Gespag zur Oberösterreichischen
Gesundheitsholding noch in vollem
Gange ist. Anfang Juni hat der 57-jährige
Franz Harnoncourt den Vorsitz der drei-
köpfigen Geschäftsführung übernommen
und wird die acht Landesspitäler, das
Kepler Universitätsklinikum (KUK) so-
wie die Ausbildungseinrichtungen und
Gesellschaften für Rehabilitation und
Pflege unter einem Dach zusammenfüh-
ren. Mit 14.500 Mitarbeitern ist die Hol-
ding das größte Unternehmen des Landes.
Sie waren jahrelang als Chirurg und
Geschäftsführer bei den Elisabethinen
in Linz tätig und kennen sowohl das
Handwerk als auch das Management.
Hilft das bei Ihrer neuen Aufgabe?
Harnoncourt
_Natürlich, die gemeinsa-
me Sprache stärkt die Glaubwürdigkeit.
Unsere Mitarbeiter wissen, dass ich fast
20 Jahre lang Nachtdienste gemacht, di-
rekten Kontakt zu den Patienten gehabt
und erlebt habe, wie das ist, in schwieri-
gen Situationen präsent zu sein. Das er-
leichtert die Akzeptanz von bestimmten
Entwicklungen und Entscheidungen,
aber ersetzt nicht, dass man vor Augen
hat, dass das Führen einer so großen Or-
ganisation ein eigenes Berufsbild ist. Ich
sitze nicht als Arzt, sondern als Geschäfts-
führer mit einer ärztlichen Vergangenheit
am Schreibtisch.
Vermissen Sie die praktische
Arbeit als Arzt?
Harnoncourt
_Ich denke gerne daran
zurück und bin sehr dankbar für die Er-
fahrung, weil sie eine wichtige Grundlage
dafür ist, was ich jetzt tue.
Was ist denn Ihrer Meinung
nach zu tun?
Harnoncourt
_Wir haben in Oberöster-
reich ein ausgezeichnetes Gesundheitswe-
sen, eine hervorragende Infrastruktur und
die Bereitschaft, die Entwicklung der Ge-
sundheit als gesellschaftspolitische Aufga-
be zu sehen, nicht nur als marktpolitische.
Wenn wir überlegen, wohin wir uns ent-
wickeln, müssen wir uns fragen, was die
großen Herausforderungen der Zukunft
sind. Das sind vor allem drei Punkte: Ers-
spezialisieren. Wie soll das
umgesetzt werden?
Harnoncourt
_Die Krankenhäuser sind
in der regionalen Versorgung der Pati-
enten unverzichtbar, sie sind aber auch
mehr: Sie sind immer ein starker Identi-
fikationsort einer Region, als Arbeitgeber
und als Ort der Sicherheit. Wenn Men-
schen oder Firmen überlegen, wo sie sich
niederlassen, geht es immer um die drei
Themen Bildung, Kultur und Gesund-
heit. Gleichzeitig überlegen wir in der
Holding, wo wir Spezialthemen bündeln,
sodass Menschen sicher sein können, dass
sie für einen hochkomplizierten Eingriff
oder eine Therapie an einen Ort kommen,
wo das entsprechend den medizinischen
Standards gemacht wird, und danach wie-
der in die regionale Versorgung und Be-
treuung kommen.
Beim Thema regionale Versorgung
geht es immer auch um politische
Befindlichkeiten und um
Wählerstimmen. Wie viel Spielraum
haben Sie im emotionalen
Minenfeld Gesundheit?
Harnoncourt
_Ich finde es nicht schlimm,
dass es gesellschaftspolitische Diskussio-
nen über die Frage gibt, wohin sich das
Gesundheitswesen entwickeln soll. Wo
sich alle einig sind, ist, dass wir eine flä-
chendeckende, hochqualitative und – wo
es medizinisch sinnvoll ist – wohnortna-
he Medizin wollen. Und beim Bekennt-
nis zum gemeinsamen Projekt KUK und
Medizinuniversität: Die Entwicklung
eines Universitätsspitals ist für die Mit-
arbeiter eine riesengroße Aufgabe und
eine echte Belastung, weil sie etwas Neues
entwickeln müssen. Die leisten wirklich
viel. Da müssen wir sie ausreichend mit-
nehmen und Sorge dafür tragen, dass wir
ihnen Chancen und Perspektiven geben.
Zurück zur Regionalität: Sie selbst
haben den Großteil Ihrer Kindheit am
Attersee verbracht, haben dort heute
Ihren Zweitwohnsitz. Was zieht Sie
dorthin?
Harnoncourt
_Ich liebe die ganze Regi-
on: das Alpenvorland mit seinen liebli-
chen Hügeln, das Wasser als beruhigendes
und inspirierendes Element, das Salzkam-
mergut mit seinem besonderen Flair. Hier
findet Oberösterreich in seiner Vielseitig-
keit und Freundlichkeit gut zusammen.
In meiner Jugend habe ich mit meinem