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duktiven Ausgaben hin zu Konsum- und 

Transferausgaben entwickelt. Angesichts 

der Höhe der Staatsschulden ist klar, dass 

der Sozialstaat in seiner derzeitigen Aus-

richtung nicht auf Dauer finanzierbar ist. 

Er ist vielfach weder effizient noch effek-

tiv noch generationengerecht. Aufgrund 

der demografischen Entwicklung werden 

die langfristigen Ausgaben nicht durch 

die zu erwartenden Einnahmen gedeckt 

werden. Reformbedarf besteht etwa im 

Pensionssystem und in der Arbeitslosen-

versicherung.

Stelzer

_Mit Veränderungen in der Ge-

sellschaft ändert sich auch der Sozialbe-

reich. Die größte Herausforderung ist 

aktuell die Pflege und hier laufen auch 

auf Bundesebene intensive Bemühungen, 

wie man die Pflege auch in Zukunft fi-

nanzieren kann, wie man mehr Leute für 

den Pflegeberuf gewinnen kann und wie 

man die Ausbildung entsprechend adap-

tiert, damit auch junge Leute bereits nach 

der Pflichtschule in die Pflegeausbildung 

einsteigen können. Hier ist vor allem 

wichtig, dass wir den Pflegebedarf regi-

onalisiert anpassen. So benötigen wir in 

manchen Regionen ein Alten- und Pflege- 

heim, während andere Regionen einen 

höheren Bedarf an mobiler Pflege haben. 

Familien leisten hier Großartiges und es 

gibt ganz viel Ehrenamt in diesen Berei-

chen, begonnen von Besuchsdiensten bis 

hin zu den klassischen Rettungs-, Betreu-

ungs- und Bereitschaftsdiensten. Es gibt 

eine hohe Bereitschaft in der Bevölke-

rung, entsprechend zu helfen. Parallel zur 

Pflege ist das Pensionssystem eine große 

Herausforderung: Die Angleichung des 

tatsächlichen an das gesetzliche Pensi-

onsalter ist dringend nötig. Und hier 

gelingen nun von Jahr zu Jahr dringend 

notwendige Schritte. Der dritte Bereich 

betrifft unser Gesundheitssystem. Wir 

haben in ganz Österreich eine Topquali-

tät für alle im Gesundheitsbereich. Was 

wir aber sicher verbessern können, ist, 

dass Patienten mit einem Anliegen an der 

richtigen Adresse ankommen: Was lokal 

von Ärzten behandelt werden kann und 

für welche Diagnosen oder Krankheits-

fälle man in ein Krankenhaus kommen 

muss. Hier sind wir noch nicht, wo wir 

sein sollten. Natürlich auch, weil wir 

mehr Ärzte im niedergelassenen Bereich 

bräuchten. Der medizinische Fortschritt 

ist eine weitere Riesenherausforderung, 

 … BERND MARIN 

Sozialwissenschafter

01

 Wie sehr wird das österreichische Sozialsystem von der 

Bevölkerung geschätzt? Alle empirischen Umfragen zeigen ein 

hohes Maß an allgemeiner Zustimmung, wenngleich durchaus auch 

weit verbreitete – und häufig berechtigte – Kritik an Fehlentwicklungen, 

überdehnten Leistungen, ungerechten Verteilungswirkungen, 

unfairen Praktiken, Verletzungen von Gleichheitsgeboten, etwa bei 

„Beamtenprivilegien“ oder „Luxus-“ bzw. „Sonderpensionen“ und 

dergleichen laut wird. Dazu wird seit vielen Jahren viel versprochen und 

fast nichts gehalten.   

02

 In Ihrem Buch 

Welfare in an Idle Society" sehen Sie die 

größte Bedrohung für das bestehende Sozialsystem in inaktiven 

Bevölkerungsgruppen. Warum? Entwickelte Wohlfahrt braucht 

immer eine höchstmögliche Erwerbsbeteiligung – und ist mit 

Massenarbeitslosigkeit und Massenerwerbslosigkeit/Inaktivität völlig 

unvereinbar. Es geht hier nicht um Ungleichgewichte zwischen Jung 

und Alt, sondern primär immer zwischen Aktiv und Inaktiv, Arbeit und 

Nicht-Arbeit, produktiv berufstätigen und steuerlich beitragenden 

„Erwerbsklassen“ und abhängigen „Versorgungsklassen“ (Karl Renner, 

Lord Dahrendorf) – sowie zwischen Arm und Reich. Das Kernproblem 

der EU in diesem Jahrzehnt waren jährlich bis zu 130 Millionen 

Menschen ohne Beschäftigung im Erwerbsalter: Denn zu den 18 bis 27 

Millionen Arbeitslosen kommen etwa 100 Millionen inaktive Erwerbslose 

dazu. Es kamen viel zu wenig Beschäftigte auf Kinder und Jugendliche 

in Ausbildung und Ältere im Ruhestand. In Österreich sind wir etwas 

über zehn Jahre in Ausbildung und über 25 Jahre im Ruhestand. Hinzu 

kommen noch zusätzliche 13 bis 18 inaktive Jahre im Erwerbsalter, also 

inzwischen insgesamt 53 Jahre in staatlicher Abhängigkeit.

03

 Wie könnte man diese zukünftige Herausforderung meistern? 

Nur durch Arbeit, Arbeit, Arbeit – durchaus bei sehr viel flexiblerer 

und verkürzter Wochen- und Jahresarbeitszeit. Eine echte Vier-

Tage-Woche (mit längerer Tagesarbeit) wäre etwa längst möglich 

und mit der Produktivitätspeitsche und Goldader der Flexibilisierung 

nachhaltig finanzierbar. Bei allen derzeit im internationalen Vergleich 

„unterbeschäftigten“ Gruppen – von Berufseinsteigern über qualifizierte 

Frauen in Teilzeitjobs und sogenannte „ältere“ Arbeitnehmer mittleren 

Alters (ab 45!) bis zu den vielen erwerbswilligen oder freiwillig 

engagierten Personen im dritten Lebensalter des Ruhestands liegen 

wertvolle, unausgeschöpfte Arbeits- und Erwerbspotentiale.

Das vollständige 

Interview mit Sozial

-

wissenschafter Bernd 

Marin finden Sie 

auf 

unserer W

ebsite