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Brasilien
Große Risiken, noch größere Chancen
Komplexes Steuer- und Rechtssystem, schlechte Zahlungsmoral, hohe Kri-
minalitätsrate, veraltete Infrastruktur, Korruption
– die Liste an Heraus-
forderungen in Brasilien ist lang. Doch umso größer sind die Chancen für
heimische Exporteure, so Klaus Hofstadler, Wirtschaftsdelegierter in Sao
Paulo: „Brasilien ist ein sehr mühsamer Markt mit vielen Ineffizienzen –
aber das Land entwickelt sich gut und bietet riesige Möglichkeiten.“
Die Rezension ist überwunden, die
neue Regierung bringe Stabilität. Bra-
silien ist mit über 200 Millionen Einwoh-
nern der mit Abstand größte Markt
in Südamerika und achtwichtigster
Überseemarkt der österreichischen
Exportwirtschaft. Durch die Größe
des Landes würden sich für die hei-
mischen Exporteure in vielen Berei-
chen Chancen bieten. Mehr als 200
österreichische Unternehmen haben
bereits eine Tochterfirma in Brasilien –
der Innviertler Spezialmaschinenbauer
Wintersteiger ist eines davon. Der Ge-
schäftsbereich Seedmech, bei dem
Maschinen für den Saat- und Ernte-
bereich angeboten werden und man
mit einem Marktanteil von 35 Prozent
Weltmarktführer ist, ist seit 2008 mit
einer Niederlassung in Brasilien tätig
und macht dort mittlerweile drei bis
fünf Millionen Euro Umsatz pro Jahr.
Davor war man bereits einige Zeit über
Vertriebspartner am Markt aktiv. „Wir
sind mit unseren Kunden, zu denen
große Pflanzenzüchter wie Bayer und
Syngenta sowie lokale Anbieter gehö-
ren, mitgegangen“, sagt Geschäfts-
bereichsleiter Christopher Schiehauer.
Der südamerikanische Markt ist be-
sonders interessant, weil aufgrund der
Klimaverhältnisse bis zu dreimal im
Jahr ausgesät werden kann. Ein weite-
res österreichisches Unternehmen am
brasilianischen Markt ist Greiner mit
einem Tochterunternehmen der Medi-
zintechniksparte Bio-One. Greiner ist
seit 25 Jahren vor Ort, erwirtschaftet
etwas mehr als 35 Millionen Euro Jah-
resumsatz. Als die großen Vorteile der
Produktion vor Ort nennt Vorstands-
vorsitzender Axel Kühner, dass man
als lokaler Produzent wahrgenommen
wird und den Währungsschwankun-
gen nicht so sehr unterliegt.
Auf die Frage nach den größten He-
rausforderungen nennt Kühner fehlen-
de Infrastruktur sowie überbordende
Bürokratie: „Wir glauben in Österreich
immer, dass bei uns alles so schwie-
rig ist, aber in solchen Ländern ist die
Bürokratie oft eine viel größere Hürde.“
Das seien aber Themen, mit denen
alle zu kämpfen hätten und die somit
niemanden benachteiligen. Schiehau-
er nennt bei den Schwierigkeiten noch
das Thema Personal: „Wir tun uns sehr
schwer, Mitarbeiter zu finden und zu
halten.“ Die Leute seien wenig mit den
Firmen verbunden. Hofstadler, der seit
zweieinhalb Jahren in Brasilien lebt,
beschreibt die Menschen als „sym-
pathisch und optimistisch“. Was neue
Geschäfte anbelangt, zeige man sich
sehr euphorisch, würde aber nicht
zu den langfristigen Planern gehören.
Firmen sollten daher neue Geschäfts-
partner genau prüfen sowie rasch und
aktiv mit ihnen kommunizieren. Offen
und direkt zu einem Angebot Nein zu
sagen, gilt als unhöflich, stattdessen
meldet man sich nicht mehr. Im Ver-
gleich zu Europa würden Verkaufsver-
handlungen in Brasilien oft viel länger
dauern, aber die Kunden brauchen
die Bestellung dann innerhalb kürzes-
ter Zeit, erzählt Schiehauer.
In Österreich ist man nach sieben
Stunden Reisezeit von einem ans an-
dere Ende gelangt, in Brasilien können
es bis zum nächsten Kunden schon
mal zwei Tage Reisezeit sein. Da heißt
es flexibel sein, erzählt Schiehauer
über die langen Distanzen. Gleichzei-
tig könne man mit einem guten Service
punkten. Einen Vorteil könnten sich
österreichische Firmen in Brasilien laut
Hofstadler auch verschaffen, indem
sie Finanzierungsmöglichkeiten mit-
nehmen: „Besonders die KMU haben
dazu kaum Zugang.“ In Bezug auf das
komplexe Steuer- und Rechtssystem
rät er zu einer guten Vorbereitung
mit der Expertise von Spezialisten
aus Brasilien. Um dem komplizierten
Arbeitsrecht so gut es geht zu ent-
kommen, sollte man sich möglichst
schlank aufstellen und viel auslagern:
„Die Firmen sollten sich auf den Ver-
kauf ihrer Produkte konzentrieren.“
Wussten Sie eigentlich,
dass Brasilien der w
eltweit
größte
Rindfleischexpor
teur
ist?
litischen Verhältnissen in Europa sind
wir es gar nicht mehr gewohnt, welche
Auswirkungen politische Rahmenbedin-
gungen haben können.“
Intensive Beschäftigung
Diese Länderauswahl zeigt, dass es den
einen lateinamerikanischen Markt nicht
gibt – bei den 23 Ländern mit einer Flä-
che von rund 20 Millionen Quadratki-
lometern und damit über 230 Mal der
Größe von Österreich handelt es sich um
unterschiedliche Märkte mit verschiede-
nen Strukturen. „Firmen können immer
nur in einzelnen Ländern Fuß fassen“,
so Hager von Global Hydro Energy. Der
Wasserkraftturbinenhersteller ist über
Chile in den lateinamerikanischen Markt
eingestiegen, nachdem Argentinien dem
Nachbarland den Gashahn zugedreht und
Brasilien ist ein sehr mühsamer
Markt mit vielen Ineffizienzen –
aber das Land entwickelt
sich gut und bietet riesige
Möglichkeiten.
Klaus Hofstadler
Wirtschaftsdelegierter
in Sao Paulo