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Der kanadische Dollar-Kurs mache In-
vestitionen aktuell recht attraktiv. Das
im September 2017 in Kraft getretene
Freihandelsabkommen Ceta beschert
den heimischen Firmen die Zollfreiheit
für industrielle Produkte und fast alle
Nahrungsmittel sowie einen verein-
fachten Marktzugang. „Einen Partner in
Übersee zu haben, dessen Markt sich
praktisch zollfrei für einen erschließt und
der gleichzeitig mit den USA und Mexiko
verbunden ist – das ist eine Konstellation,
die nur ganz wenige bis gar keine Märkte
vorweisen können“, sagt Lassnig. Kana-
da und die EU haben sich dazu verpflich-
tet, den jeweiligen Markt für den anderen
so gut es geht zu öffnen.
Besondere Chancen sieht Lassning für
Firmen in den Bereichen Klima- und
Umweltschutz, erneuerbare Energien
und öffentlicher Verkehr. Die Regierung
investiert massiv in die Infrastruktur.
Die Kanadier würden den Klimawandel
relativ stark spüren und bei diesen The-
men europäischer als ihre südlichen
Nachbarn denken. 123 österreichische
Unternehmen haben bereits eine Nie-
derlassung in Kanada, vierzehn davon
einen Produktionsbetrieb. Im Jahr 2016
exportierte Österreich Waren im Wert von
knapp einer Milliarde Euro nach Kanada.
In den vergangenen zwei Jahren inves-
tierten einige heimische Firmen in Kana-
da stark – darunter auch Starlim-Sterner.
Der laut eigenen Angaben weltweit größ-
te Verarbeiter von Flüssigsilikon vergrö-
ßert sein Produktionswerk elf Jahre nach
der Eröffnung bis zum Herbst 2018 um
das Zweieinhalbfache.
Einwanderer aus über 200 Ländern
Das Unternehmen mit Sitz in Marchtrenk
erwirtschaftet mit weltweit fünf Produk-
tionsstandorten 167 Millionen Euro. Die
KANADA
Automobilindustrie ist der größte Abneh-
mer, in Kanada wird zu rund 60 Prozent
für den Life Science-Bereich produziert.
„Wir beliefern große Medizintechnikun-
ternehmen. Unsere Auftragsbücher sind
voll“, sagt Marketing- und Vertriebsleiter
Karl Großalber. Einer der Hauptgründe
für Kanada als Produktionsstandort war
das gut ausgebildete Personal – und
Starlim-Sterner sei diesbezüglich auch
nicht enttäuscht worden. Einzig die in
Österreich durch die Lehre breit ausge-
bildeten Facharbeiter vermisse man.
Kanada ist mit Einwanderern aus über
200 Ländern eines der offensten und
kulturell vielfältigsten Länder. Im Unter-
schied zu den Mitteleuropäern seien die
Kanadier laut Lassnig geduldiger und
freundlicher. Auch Großalber erlebt die
Kanadier als sehr weltoffen, man müsse
aber gewisse Kulturunterschiede akzep-
tieren, die man den Leuten im Unter-
schied zum asiatischen Raum etwa nicht
gleich ansieht: „Die Kultur ist mehr ame-
rikanisch als europäisch.“ Ausländische
Investoren müssten laut Lassnig mit kei-
nen Problemen rechnen: Es gebe keine
langen Behördenwege. Die Kanadier sei-
en offen für Geschäfte, würden schnelle,
klare Entscheidungen treffen. „Da muss
man nicht monatelang Klinken putzen.“
Mit Englisch und Französisch gibt es
zwei Amtssprachen: „Mit Englisch allei-
ne kann man den Markt nicht erobern.“
Großalber nennt als anfängliche Heraus-
forderung das Erstellen von detaillierte-
ren Aufzeichnungen: „Man muss alles
bis ins Kleinste dokumentieren, Selbst-
verständlichkeiten gibt es dort nicht. Das
mussten wir erst lernen.“ Schlussendlich
hat Starlim-Sterner aber davon profitiert,
weil die genauen Aufzeichnungen für das
Werk in Österreich übernommen werden
konnten und man sich damit jetzt etwa
bei Mitarbeitereinschulungen leichter tue.
Als amerikanisch mit einem Hauch europäischer Lebensart bezeichnet Christian
Lassnig, Wirtschaftsdelegierter in Toronto, den kanadischen Unternehmergeist und
ruft Firmen dazu auf, sich das zweitgrößte Land der Erde genau jetzt anzuschauen.
Die kanadische Wirtschaft wächst wieder – mit 2,6 Prozent sogar überdurchnittlich.
„In Kanada muss man
alles bis ins Kl
einste
dokumentieren,
Selbstverständ-
lichkeiten gibt es
dort nicht.“
Karl Großalber
Marketing- und V
ertriebsleiter,
Starlim-Sterner