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OB DAS
GESUND
ISST?
Fett macht fett. Nein, doch nicht. Kohlenhydrate sind das große
Übel. Und Gluten verträgt man sowieso nicht. Rotes Fleisch? Um
Gottes Willen, davon bekommt man Dickdarmkrebs. Kaffee bitte
komplett von der Liste streichen. Oh, Moment. Fehlalarm, Kaffee ist
sogar äußerst gesund! Oder doch nicht? Dann eben Chiasamen!
Die sind wohl das Allheilmittel schlechthin. Wenn einem bei all den
Ernährungstrends und Mythen mal nicht der Appetit vergeht!
Name, Vorname des V
ersicherten
Herta Hunge
r
Arzneimittel / Hilfsmittel / Heilmittel
aktiv bleiben
interessiert b
leiben
begeisterung
sfähig
bleiben
Nehmen Sie wahr
, was Ihnen guttut!
Diese Achtsamkeit und Genussfähig
-
keit müssen Sie wieder lernen und in
den Vordergrund stellen. Dann ist es
auch ganz egal, wenn Sie mal über
die Stränge schlagen, das hat keine
Auswirkung auf die nächsten 20 Jahre.
Natürlich, wenn Sie permanent nicht
auf Ihren Körper achten, dann wirkt
sich das irgendwann aus. Das ist wie
beim Sport – wenn ich einmal laufen
gehe, tut mir das im Moment ganz gut,
aber um wirklich eine positive Wirkung
langfristig zu spüren, muss ich das über
einen längeren Zeitraum machen.
Unterschrift
des Arztes
Dr. Tina Bräut
igam
Genau das sei das Problem, sagt All-
gemein- und Ernährungsmedizinerin
Tina Bräutigam. „Alle paar Wochen und
Monate wird eine neue Ernährungs-
linie präsentiert und propagiert. Das
verunsichert.“ Und macht auch keinen
Sinn, denn nicht jede Ernährungsform
ist für jeden gleich gut. „Wenn es das
wäre, dann hätten wir weder ein Prob-
lem mit Über- noch mit Untergewicht.
Dann gäbe es eine Ernährungsform, die
alle anwenden und somit ist die Sache
erledigt.“ Das Gegenteil ist der Fall: So-
wohl im Bereich der Über- als auch im
Bereich der Unterernährung nehmen
Essstörungen zu. Dahinter steht oft ein
immenser Druck. „Wir leben in einer
Leistungsgesellschaft, jeder will perfekt
sein. Vor allem junge Menschen wollen
sich in sozialen Medien bestmöglich
darstellen, Männer genauso wie Frau-
en. Das führt dann oft zu ständigen Er-
nährungsumstellungen und Exzessiv-
Sport“, so Bräutigam. Und Übertreibung
führe meist zu Problemen. Verzichtet
man etwa auf Kohlenhydrate und isst
stattdessen Unmengen an Gemüse und
Eiweiß, dann sind Bauchschmerzen eine
ganz logische Schlussfolgerung. Genau-
so schädlich sei der Verzicht auf Fett.
„Wir brauchen gute Fette, damit unser
Stoffwechsel funktioniert und wir fett-
lösliche Vitamine überhaupt aufnehmen
können. Nur Gemüse zu essen bringt
tigam weiter, die durch Ernährungsex-
pertin Sasha Walleczek bekanntgewor-
dene Faustformel für jede Mahlzeit: Zwei
Fäuste Gemüse, eine große Faust Koh-
lenhydrate und eine Handfläche Eiweiß,
abends etwas weniger Kohlenhydrate.
„So isst man von allen wichtigen Kompo-
nenten etwas.“
Und zwar am besten mit vollem Genuss.
Den vermisst Tina Bräutigam aber zu-
nehmend in der Gesellschaft. „Ich habe
das Gefühl, dass immer weniger Men-
schen das Essen wirklich genießen. Es
ist mittlerweile mit so vielen Fragen und
Ängsten verbunden und Unverträglich-
keiten scheinen ganz normal zu sein.“
Dabei hätten diese Unverträglichkeiten
oft nicht nur mit der Ernährung selbst
zu tun, sondern auch mit der Art, wie wir
essen. „Wer gestresst isst, beeinflusst
damit seine Darmflora, das ist momen-
tan Gegenstand vieler Untersuchungen.
Und das hat sehr wohl Einfluss auf die
Verträglichkeit.“ Eine Unverträglichkeit
sollte man daher nicht nur an einzelnen
Lebensmitteln festmachen, sondern
großflächiger ansetzen. „Essen als kul-
turelles, soziales Erlebnis sollte wieder
im Vordergrund stehen.“
Augenblick mal!
Dazu braucht es aber Entspannung. Und
die lässt sich selten auf Knopfdruck
mir nichts. Und was das Obst betrifft –
natürlich ist es gesund, aber ein Zuviel
davon macht oft Beschwerden. Da sind
wir wieder bei der Dosis.“
Die Mischung macht’s
Die Medizinerin plädiert daher auf ge-
sunde Mischkost und generell auf das
Motto „Die Dosis macht das Gift.“ Unter
gesunder Mischung versteht sie eine
pflanzlich betonte Ernährung als Basis in
Kombination mit eiweißreichen Lebens-
mitteln aus pflanzlicher und idealerweise
auch aus tierischer Quelle – wobei die
pflanzliche überwiegen sollte. Dazu ge-
hören aber auch komplexe Kohlenhydra-
te wie Getreide, Reis und Kartoffeln. „Sie
sind der Treibstoff, liefern uns Energie
und sättigen“, so Bräutigam. Es macht
aber einen Unterschied, wann man diese
isst. „Ideal wäre, sowohl in der Früh als
auch mittags Kohlenhydrate zuzuführen,
denn tagsüber brauchen wir diese Ener-
gie.“ Abends sollte hingegen der Anteil
an Gemüse und Eiweiß überwiegen. Und
in welcher Menge eigentlich? „Mir fällt
auf, dass vor allem Kinder und Jugendli-
che teilweise keine Ahnung mehr haben,
wie große denn eine Portion sein soll.
Wohl auch deshalb, weil es viel weniger
gemeinsame Mahlzeiten gibt, bei denen
man sich an Eltern oder Geschwistern
orientieren könnte“, erklärt die Linzer
Ärztin. Ein guter Richtwert sei, so Bräu-
REDAKTION_SUSANNA WURM
KREATIV DIREKTION_ALEXANDRA AUBÖCK
FOTOGRAFIE_MARIO RIENER
ASSISTENZ_MARTIN ANDERL
ILLUSTRATION_THINKSTOCK
FACE & HAIRSTYLIST_COIFFEUR VOGL