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REDAKTION_SUSANNA WURM
KREATIV DIREKTION_ALEXANDRA AUBÖCK
FOTOGRAFIE_MARIO RIENER
ASSISTENZ_MARTIN ANDERL, JASMIN TANZER
LOCATION_WORKSPACE WELS
Einen Coworkingspace stellt man sich
eigentlich anders vor: herumliegende
Essensreste, halbleere Colaflaschen,
dutzende Schreibtische in einem Raum.
Doch hier sieht’s eher aus wie in einer
schicken Agentur, sehr aufgeräumt,
sehr schönes Design, sehr ruhig, sehr
moderne Meetingräume. Aber die Söh-
ne eines Industriellen, der über 5.200
Mitarbeiter beschäftigt und mehr als
1,5 Milliarden Umsatz erzielt, könnte
man sich auch anders vorstellen. In
chronischer Partylaune zum Beispiel,
mit etwas höher getragenen Nasen-
spitzen. Clemens und Alex Pierer stre-
cken hingegen nicht ihre Nasen in die
Höhe, sondern krempeln ihre Hemds-
ärmel hoch, als sie uns im Workspace
in Wels freundlich begrüßen. Kurz dar-
auf kommt auch ihr Vater, Stefan Pierer,
zur Tür herein. Und plaudert zunächst
mit Barbara Mörtenhumer, die für die
Organisation des Workspace verant-
wortlich ist. Ob er in zwei Wochen beim
Wuzelturnier hier im Workspace mit-
mache, fragt sie ihn. Da sei er leider
im Ausland. Ihre Frage war aber keine
rhetorische – immer wieder nimmt sich
Pierer Zeit, mit den Mietern des Cowor-
kingspace Erfahrungen auszutauschen.
Die Mieter in den zwei Stockwerken hier
im WDZ 9 in Wels sind meist Einzelun-
ternehmer aus unterschiedlichen Bran-
chen. Einer davon ist Xaver, selbststän-
diger Webentwickler. Er hatte zunächst
einen Schreibtisch im Großraumbüro
gemietet und ist nun in ein kleines, sehr
helles Einzelbüro übersiedelt. „Das war
meine Chance, weg vom Homeoffice zu
kommen“, erzählt er. Seit Sommer 2016
werden im Workspace Wels schnell und
unkompliziert Büros vermietet, denn
Gründer und Unternehmer hätten es
ohnehin nicht leicht in Österreich, sind
sich die Pierers einig. Die Miete beträgt
daher pro Quadratmeter inklusive Leis-
tungen wie Empfang, Besprechungs-
räume, Business Events, geräumiger
Küche, Betriebskosten, Internet, regel-
mäßiger Reinigung und hochwertiger
Ausstattung 20 Euro. Und ist jederzeit
kündbar. In einem der Büros sitzt Alex
Pierer, er hat die Projektleitung für den
Workspace über und erarbeitete ge-
meinsam mit seinem Bruder Clemens
das Konzept dafür. Nicht weit von hier
hat Clemens sein Fotostudio, schaut
aber immer wieder gern auf einen Kaf-
fee im Workspace vorbei. Heute geht’s
weniger um den Kaffee, sondern da-
rum, selbst mal vor der Linse zu ste-
hen. Allerdings muss alles sehr schnell
gehen – in maximal eineinhalb Stunden
solle bitte alles fertig sein, wird uns im
Vorfeld mitgeteilt. Nachdem unser Fo-
tograf in 30 Minuten die Bilder im Kas-
ten hat, geht’s rauf in den dritten Stock
zum Interview. Die Küche ist riesig,
hochmodern in schwarz, in der Ecke
der besagte Wuzeltisch. Wir nehmen zu
viert am Tisch in der Mitte Platz. Und
aus eineinhalb Stunden werden drei.
Und aus einem Interview wird ein emo-
tionales Gespräch mit einem Vater, der
stolz auf seine Söhne ist, obwohl oder
gerade weil diese keine Kopien von ihm
sind. Zwischen zwei Generationen, die
unterschiedliche Voraussetzungen für
ihre Karrieren vorfanden. Stefan Pie-
rer ist ein Vertreter der klassischen
Gründergeneration: „Ich hab von mei-
nen Eltern eine gute Ausbildung mitbe-
kommen und einen kleinen Rucksack,
um daraus etwas zu machen“, erzählt
der Industrielle, dessen Firmengruppe
Pierer Industrie AG unter anderem im
Segment Motorräder sowie im automo-
tiven High-Tech-Komponentenbereich
tätig ist. Bekanntestes Unternehmen
der Gruppe ist KTM. Für seine Söhne
war es damit kein kleiner Rucksack,
sondern ein ganzes Imperium, das sie
zum Karrierestart vorfanden. „Unter so
einem großen Baum den eigenen Weg,
die eigene Sonne und damit die eigene
Erfüllung zu finden, ist nicht einfach“,
so Stefan Pierer. Umso glücklicher sei
er, dass beide fündig geworden sind.
Und am Ende des Tages dieselben
Werte wie er am meisten schätzen: Ge-
sundheit und Familie.
Warum sieht es hier so anders aus als
in typischen Coworking-Spaces?
STEFAN_Ein klassischer Open-Work-
space ist anders, da haben Sie recht.
Ich beschäftige mich schon einige Jah-
re mit der Gründerszene in Österreich –
man muss natürlich unterscheiden
zwischen einer Stadt mit Universitäten
und einer Provinzstadt wie Wels. Hier
haben wir viel mehr Jungunterneh-
mer als Start-up-Gründer. Diese Leute
wollen effizient in getrennten Einhei-
ten arbeiten und suchen dennoch per-
sönliche Vernetzung in gemeinsamen
Zonen.
ALEX_Es gibt nicht wie in einer Groß-
stadt den Bedarf, tageweise einen
Platz zu mieten, es geht bei uns viel-
mehr darum, Jung- und Kleinunter-
nehmern ein professionelles Umfeld
zu bieten, um etwa vom Homeoffice
wegzukommen. Deshalb gibt es hier
auch mehr abgeschlossene Räume,
weniger Freiflächen als üblich.
CLEMENS_Ähnlich wie in einem klas-
sischen Start-up-Büro kommt es aber
auch hier zu persönlichen Vernetzun-
gen – man lernt jemanden kennen, der
fachliche Bereiche abdeckt, die man
selbst nicht hat. Das ist wichtig, um
wachsen zu können.
STEFAN_Und das ist ja der Hemm-
schuh des Gründers: das Einstellen
der ersten Mitarbeiter.
ALEX_Wir versuchen, ein Klima für ein
gutes Miteinander zu schaffen, sodass
die Mieter größere Projekte gemein-
sam abwickeln können.
STEFAN_Und deshalb sieht’s hier
nicht aus wie in einer Partyzone, wie
man’s etwa von Coworkingspaces in
Wien kennt. Dort herrscht dann die
Einstellung, dass man jetzt eine tolle
Idee hat, die einem jemand abkauft
und dann wird man so reich wie Zu-
ckerberg. Ein völliger Irrglaube!
Wird der Begriff Start-up denn zu sehr
gehypt?
ALEX_Der Begriff Start-up ist zwei-
schneidig. Zum einen trägt er dazu
bei, das Unternehmertum in Öster-
reich positiver zu besetzen. Und das
ist immens wichtig – in Amerika sind
doppelt so viele Menschen bereit, sich
selbstständig zu machen wie in Öster-
reich. Die zweite Seite ist aber, dass
der Begriff Start-up oft mit der Vor-
stellung eines Lottogewinns einher-
geht – das Ziel, dass man irgendwann
den großen Exit macht. Damit habe ich
ein massives Problem, weil das mit
Unternehmertum nichts zu tun hat.
Wenn ich etwas nur großmachen will,
um mich dann zu vertschüssen, ist es
nichts Nachhaltiges. Das ist einfach
nur Lottospielen. Das gelingt vielleicht
fünf Unicorns, der Rest sind Jungun-
ternehmer. Und für die ist es sicher
nicht von Vorteil, wenn der Eindruck
vorherrscht, dass man eine Idee hat,
die man schnell vermarkten und groß-
machen soll, um sie dann möglichst