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DIE NEUE SEHNSUCHT NACH ZUHAUSE
Durch die Digitalisierung und Globalisierung rückt die Welt immer enger zusammen - das macht sich auch
in Krisenfällen bemerkbar. Seit einiger Zeit gibt es einen Gegentrend: Das häusliche Glück in den eigenen
vier Wänden, das eigene Umfeld und die Regionalität bekommen wieder einen höheren Stellenwert.
Zukunftsforscher sprechen sogar schon von einer
Neo-Biedermeier-Zeit.
REDAKTION_VALENTIN LISCHKA
FOTOGRAFIE_MARIO RIENER, THINKSTOCK
ILLUSTRATION_ALEXANDRA AUBÖCK
Katrin Mayrhofer-Schmirl stapft in Burber-
ry-Gummistiefeln durch ihren Garten, in
der linken Hand ein kleiner Plastiksack mit
Vogelfutter. Sie will nicht etwa Spatzen oder
Meisen bei ihrer Nahrungssuche unter-
stützen, nein, die Körner sind quasi ein In-
vestment in die hauseigene Nahrungsmit-
telproduktion. Denn seit kurzem kümmern
sich Luna, Pepita und Felix um das tägliche
Frühstück der Mayrhofer-Schmirls. Die
drei Hühner leben in einem einige Quadrat-
meter großem Käfig mit kleiner Holzhütte
und Wasserspender. „Wir haben eine sehr
tierliebende Tochter, und nachdem sie
schon jede Menge Spielsachen hat, haben
wir uns für ihren Geburtstag etwas ande-
res überlegt“, sagt Mayrhofer-Schmirl und
öffnet den Stall, um die Tiere herauszulo-
cken und zu füttern. Immerhin ein Ei findet
sie – keine schlechte Ausbeute, denn Luna,
Pepita und Felix sind noch nicht ausge-
wachsen und legen dementsprechend sel-
tener. „Die Eier sind aber momentan noch
alle meiner Tochter vorbehalten“, sagt die
Unternehmerin und lacht.
Trendumkehr Anfang 2000
Der Aufwand für die drei Tiere hält sich
in Grenzen. Füttern, bei Dämmerung das
Hühnerhaus abschließen. Die Trinkanla-
ge ist beheizt, um die Wassertemperatur
auch im Winter konstant bei einem Grad
zu halten. Neben Körnern freuen sich die
Hühner auch über übriggebliebene Nudeln,
Salatreste und Reis. Bei der Anschaffung
haben sich die Mayrhofer-Schmirls vom
näheren Umfeld inspirieren lassen. „Wir
sind damit quasi einem Trend gefolgt“,
sagt Mayrhofer-Schmirl, „meine Tochter
hat Hendln schon bei ihrer Patentante ge-
sehen.“ Hendln seien die neuen Hunde in
ihrem Bekanntenkreis.
Marktforscher und Geschäftsführer der
Integral Markt- und Meinungsforschungs
GmbH, Bertram Barth, beobachtet schon
seit Jahren einen Trend, den er Reground-
ing nennt. Das nächste Umfeld, das häusli-
che Glück in den eigenen vier Wänden, der
Garten und die Regionalität werden in Zei-
ten zunehmender Digitalisierung und Glo-
balisierung immer wichtiger. „Man kann
von einem Rückzug reden, der geografisch
definiert ist“, sagt Barth. Eine neue bürger-
liche Mitte entstünde, deren Idealbild ein
klar definierter Lebenslauf und ab 30 Jah-
ren Kinder, ein Eigenheim mit Garten und
Haustieren wäre. Der Grund: „Die Sehn-
sucht nach einem festen Boden unter den
Füßen, ausgelöst durch globale Krisen“.
Seit der Dotcom-Blase und dem 11. Sep-
Es gibt eine zunehmende
Sehnsucht nach festem
Boden unter den Füßen und
Regionalität – ausgelöst
durch globale Krisen.
BERTRAM BARTH
Marktforscher & Geschäftsführer,
Integral Markt- und Meinungsforschung