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eine ganz wesentliche Rolle. „Um die
Begabungen optimal zu entwickeln und
zu nutzen, arbeiten wir permanent an
einem Bildungssystem, das Chancen
bietet, Leistungen fordert und gezielt
auf Schwächen eingeht“, sagt er. Wie
kann es gelingen, die Jugend wieder
stärker für das Lesen zu begeistern?
„Vor diesem Interview war ich in einem
Kindergarten, es fasziniert mich immer
wieder neu, wie neugierig Kinder auf
alles sind“, sagt Stelzer. Wenn es im ge-
samten Bildungssystem gelinge, diese
Neugierde zu erhalten, dann wäre der
Erfolg sicher. „Einen Buchdeckel auf-
schlagen, schauen, welche Geschichte
dahinter steckt – dieses Erlebnis müs-
sen wir bei jedem Kind erhalten, und
nicht durch zu viele Reglementierungen
stoppen“, sagt er.
Nicht nur die Jugend liest immer we-
niger. Kürzlich zeigte eine Studie das
Verschwinden des klassischen Ge-
legenheitslesers auf. „Durch unsere
schnelleren
Kommunikationsformen
schalten wir auch schnell mal ab, umso
wichtiger wäre es, öfters zu einem Ro-
man zu greifen“, sagt Stelzer. Für ihn
bedeute das auch, in eine andere Welt
zu gleiten. „Lesen sollte einen weiter
bringen und mit Dingen konfrontieren,
die wir im Alltagsleben nicht erleben."
So will auch er aus jedem Roman etwas
mitnehmen. „Ich versuche, mich in den
Protagonisten hineinzuversetzen und
überlege mir, wie ich in seiner Situation
mit der Lage umgegangen wäre, wie ich
sie gelöst hätte“, sagt Stelzer.
Gibt es einen Protagonisten, der ihn be-
sonders faszinierte oder in dessen Rolle
zu schlüpfen, besonders lehrreich war?
„Natürlich ist jeder für Protagonisten
anfällig, die in der Geschichte als Held
oder Erfolgsmensch hervorgehen“, sagt
Stelzer. „Einen bestimmten Lieblings-
protagonisten habe ich allerdings nicht
– spannend war etwa die Trilogie von
Stieg Larsson, in der Lisbeth Salander
am Anfang total unsympathisch wirkt,
dann aber mit der Zeit immer mehr
an Kontur gewinnt.“ Salander stellt im
Buch eine antisoziale junge Frau mit
außergewöhnlichen Hackerfähigkeiten
dar, die in ihrer Kindheit traumatische
Erlebnisse erlitten hat. Falls es Stelzer
gelungen ist, sich in sie hineinzuverset-
zen und ihre Probleme zu lösen, dürfte
ihn in seiner bevorstehenden Karriere –
auch als Landeshauptmann – jedenfalls
kaum mehr etwas überraschen._