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MIT DER GIESSKANNE
ZUR STRATEGIE
NACHHALTIGKEIT. KAUM EIN ANDERER BEGRIFF WIRD SO INFLATIONÄR VERWENDET.
MITTLERWEILE IST ALLES NACHHALTIG. DOCH WAS STECKT WIRKLICH HINTER DEM 300
JAHRE ALTEN BEGRIFF? DIE HEIMISCHEN UNTERNEHMEN BRAUCHEN DEN VERGLEICH BEIM
NACHHALTIGEN WIRTSCHAFTEN JEDENFALLS NICHT SCHEUEN, SIND SICH EXPERTEN EINIG.
DIE ZEIT VON GREENWASHING IST VORBEI.
Würden alle Menschen so leben wie wir
Europäer, bräuchten wir fast drei Plane-
ten in der Qualität der Erde. Würden alle
Menschen so leben wie die US-Amerika-
ner, bräuchten wir sogar mehr als fünf Er-
den. Die Ressourcen werden knapper. Die
Energiepreise steigen. Das alles sind laut
Roman Mesicek, Studiengangsleiter Um-
welt- und Nachhaltigkeitsmanagement an
der IMC FH Krems, Gründe, warum sich
Unternehmen heutzutage immer mehr
mit dem Thema „Nachhaltiges Wirtschaf-
ten“ auseinandersetzen: „Die Problematik
ist den Firmen seit der Jahrtausendwende
bewusster geworden. Nachhaltigkeit ist
kein Trend, sondern eine „Herausforde-
rung zu der es keine Alternative gibt“, sagt
der Nachhaltigkeitskoordinator auf Bun-
desebene, Wolfram Tertschnig.
Bei den Unternehmen, die sich mit dem
Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, könne
man zwischen zwei Gruppen unterschei-
den, erklärt Mesicek. Es gebe einerseits die
Öko-Pioniere, die eine Vorreiterrolle über-
nehmen und ein kleiner Bestandteil unter
den österreichischen Unternehmen sind.
Andererseits sei das Thema bereits bei der
Mehrheit der Unternehmen angekommen,
indem sie sich etwa Gedanken über Res-
sourcen, Abfall, Umweltverschmutzung
oder Umgang mit Mitarbeitern machen.
Ökologische und
soziale Fairness
Als ein Öko-Pionier in Oberösterreich
gilt die Firma Grüne Erde in Scharnstein.
Begonnen hat alles mit handgefertigten
Naturmatratzen. Vor kurzem wurde das
30-jährige Jubiläum mit knapp 400 Mitar-
beitern gefeiert und es gibt mittlerweile ein
breites Sortiment an Vollholzmöbeln, Bett-
waren, Wohnaccessoires, Naturkosmetik
und ökologischer Mode. Reinhard Kepplin-
ger, Eigentümer und Geschäftsführer, über
das erfolgreiche Geschäftsmodell: „Unsere
Philosophie ist es, die Welt ein bisschen
besser zu machen und ökologische Pro-
dukte in fairer Art und Weise herzustellen.
Wir wollen beweisen, dass man auch wirt-
schaften kann, wenn man den Hauptfokus
auf eine ökologisch und sozial vorbildliche
Produktion legt.“ Zum Geschäftsmodell
von Grüne Erde gehöre auch, dass die Fir-
ma unabhängig von Banken und anderen
Investoren sei und „wir das tun können,
was wir für richtig erachten“, sagt Kepplin-
ger. Seit Sommer 2013 wurden rund 7,7
Millionen Euro von 1.100 Menschen durch
Crowdfunding gesammelt. Laut eigenen
Angaben das erfolgreichste Crowdfunding-
Projekt Österreichs.
Die Grüne Erde verwendet ausschließlich
nachwachsende Rohstoffe – wenn möglich
biologisch zertifiziert und es sollen men-
schenwürdige Arbeitsplätze geschaffen
werden. „Nicht, dass irgendwo Halbskla-
ven in Fernost oder Afrika zum Einsatz
kommen“, so Kepplinger. Neben Katalog-
und Onlineverkauf wird das Sortiment in
vierzehn Shops in Deutschland und Ös-
terreich verkauft. „Ich glaube im deutsch-
sprachigen Raum leben jene Konsumen-
ten, die am ökologischsten denken und
denen Fairness am wichtigsten ist“, sagt
Kepplinger. Von der Politik sieht Kepplin-
ger das nicht und wünscht sich mehr Ge-
rechtigkeit: Unternehmen, die nachweis-
REDAKTION_SABRINA KAINRAD
FOTOGRAFIE_KAPPA FILTER SYSTEMS, VOOKING, HOLIS MARKET