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WARUM BRAUCHT ES INTEGRATIVE BESCHÄFTIGUNG?

_Das Ziel ist, dass auch Menschen mit Beeinträchtigungen so selbst-

verständlich wie möglich an der Gesellschaft teilhaben können. Das ist das Kernstück der Behindertenrechtskon-
vention und ich glaube, jeder Mensch möchte so eigenständig, unabhängig und selbstbestimmt wie möglich leben, 
auch wenn er Unterstützung braucht. Integrative Beschäftigung sichert beeinträchtigten Personen soziale Teilhabe, 

Anerkennung und Wertschätzung. Sie zeigt auch, wie groß der Beitrag von beeinträchtigen Menschen an der Wirt-
schaftsleistung ist oder sein kann. Und ich glaube ganz entscheidend ist einfach auch die Frage der persönlichen 
Anerkennung und Wertschätzung. 

WELCHE ANREIZE GIBT ES FÜR UNTERNEHMEN?

_Das Unternehmen zahlt nicht den normalen Kollektivvertragslohn son-

dern eine gewisse finanzielle Entschädigung. Vor allem ist entscheidend, dass diese Personen eine Arbeitsbeglei-
tung haben, die wir über das Land entsprechend fördern. Denn durch diese Arbeitsbegleitung ergibt sich zum einen, 
dass sich beeinträchtige Menschen leichter tun, sich in den Arbeitsprozess zu integrieren. Zum anderen gibt es für 
die Unternehmen die Sicherheit, eine Ansprechperson zu haben, mit der man die anstehenden Fragen besprechen 
kann. Sie können zudem sicher sein, dass sich die beschäftigten beeinträchtigten Menschen in ihrer Arbeit auch 
wirklich gut zurechtfinden können.

WELCHE VORTEILE HABEN UNTERNEHMEN, DIE MENSCHEN INTEGRATIV BESCHÄFTIGEN?

_Ich glaube zum einen das Gefühl, dass 

man einen wertvollen Beitrag in der Verantwortung für andere leistet. Gleichzeitig gewinnen sie durchaus auch einen 
wirtschaftlichen Mehrwert. Denn man sieht, dass gerade auch beeinträchtigte Personen in manchen Bereichen 
besonders sorgfältig sind – beispielsweise wenn es um Sortierarbeiten oder um Arbeiten in der Qualitätskontrolle 
geht. Sie haben einen sehr fokussierten Blick auf die Dinge, das ist wirtschaftlich gesehen sicher auch sehr wertvoll. 
Es fördert auch das Betriebsklima entsprechend, weil man lernt, besser aufeinander zu achten und Rücksicht zu 
nehmen. 

WAS IST AUS IHRER SICHT DIE GRÖSSTE HÜRDE FÜR EINEN MENSCHEN, DER BISHER NUR IN WERKSTÄTTEN WAR UND DANN IN EIN 

UNTERNEHMEN GEHT?

_Wir sehen, dass viele Personen, die vorher in einer geschützten Werkstätte gewesen sind, am 

Anfang sehr unsicher sind. Sie wissen nicht, ob sie es machen sollen. Aber nach dieser anfänglichen Unsicherheit 

– und das ist sehr schön zu beobachten – entsteht ganz rasch ein Gefühl der Selbstwertsteigerung und Eigenständig-

keit. Sie trauen sich plötzlich selbst mehr zu. 

ANSTATT EINEN BEGÜNSTIGTEN BEHINDERTEN EINZUSTELLEN, HABEN 2013 ZWEI DRITTEL DER OBERÖSTERREICHISCHEN BETRIEBE DIE 

AUSGLEICHSTAXE BEZAHLT. WORAN LIEGT DAS?

_Das trifft mich sehr. Ich schätze jene Betriebe, die ihre Verantwortung, 

Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit auf einen Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen zu geben, entspre-
chend wahrnehmen. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass das Wirtschaftsleben immer schneller wird, alles 
soll immer noch rationeller werden. Dabei wird eben ein bisschen darauf vergessen, dass wir als Gesellschaft auch 
eine Verantwortung füreinander haben. 

WELCHE ANREIZE MÜSSTE MAN FÜR UNTERNEHMEN SCHAFFEN?

_Es wurde immer diskutiert, dass die Frage des Kündi-

gungsschutzes ein Einstellungshindernis sei. Dieser Kündigungsschutz wurde dann beträchtlich gelockert. Während 
er vorher nach sechs Monaten eingetreten ist, tritt er jetzt erst nach vier Jahren ein. Und trotzdem zeigt sich keine 
Änderung der Situation. Diese Form des Anreizes war offensichtlich nicht geeignet. Ich glaube, dass es an anderen 
Fragen liegt und bin daher wirklich der Auffassung, dass die Ausgleichstaxen, die nicht besonders hoch sind, ent-
sprechend angehoben werden müssen.

  ICH BIN DER AUFFASSUNG, 

DASS DIE AUSGLEICHSTAXEN, DIE 

NICHT BESONDERS HOCH SIND, 

ENTSPRECHEND ANGEHOBEN 

WERDEN MÜSSEN.

GERTRAUD JAHN

SOZIAL-LANDESRÄTIN

INTERVIEW MIT SOZIAL-LANDESRÄTIN GERTRAUD JAHN