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entscHUldiGen sie die FraGe, aber: was macHen sie Gerade? GUt, sie lesen. docH
woraUF lesen sie? wie lesen sie taGesaktUelle inFormationen, wie romane,
FacHliteratUr Und zeitscHriFten? wird das e-book das PaPierbUcH verdränGen,
werden taGesaktUelle inFormationen vorwieGend online abGerUFen, wird es in
näcHster zUkUnFt nacHscHlaGewerke nUr nocH in diGitaler Form Geben? FraGen,
die GrUndsätzlicH Jeden betreFFen, allen voran aber verlaGe, bUcHHändler,
aUtoren. Und bibliotHeken. EIn bEsuCH bEI DER gEnERAlDIREKtORIn DER
östERREICHIsCHEn nAtIOnAlbIblIOtHEK.
Josefsplatz 1 in Wien. Hier findet man
nicht unbedingt das Museum der Zukunft.
Könnte man meinen. Wirft man aber einen
genaueren Blick hinter die historischen
Mauern der größten Bibliothek des Lan-
des und vor allem auf deren Entwicklung,
dann wird doch klar, dass das Thema
Zukunft hier viel präsenter ist, als es an-
fangs scheint. Verantwortlich für die fort-
schrittlichen Entwicklungen ist zu einem
wesentlichen Teil seit vierzehn Jahren
Johanna Rachinger. Eine starke Frau, die
eine regelrechte Bilderbuchkarriere hin-
gelegt hat: Nach Handelsakademie, Stu-
dium, Berufserfahrung, Geschäftsführerin
eines großen Buchverlages, übernahm sie
schließlich die Leitung der Österreichi-
schen Nationalbibliothek. Gelesen habe
sie immer schon gern und Bildung sei
ihr ohnehin sehr wichtig. Doch nicht alles,
was sie in ihrer Karriere vorangetrieben
hat, findet man in einem Lehrbuch oder in
einem Hörsaal. Etwas sehr Wesentliches
hat sie in Putzleinsdorf gefunden, ihrem
Heimatort im Mühlviertel: Mut. „Lernt
etwas Ordentliches und schaut, dass ihr
finanziell unabhängig seid, heiraten könnt
ihr dann immer noch“, sagte damals ihr
Vater zu ihr und ihren Geschwistern. Ge-
nau diesen Mut setzt sie auch ein, um im
Zeitalter der Digitalisierung ein Haus, das
für, mit und von Büchern lebt, für die Zu-
kunft fit zu machen.
Der Megatrend Digitalisierung bringt
Geschäftsmodelle zum Einsturz,
Lexikon-Verlage sind verschwunden
oder kämpfen ums Überleben, Lehrbü-
cher und Nachschlagewerke können
ihr Ziel auf elektronischem Weg besser
erreichen. Als Generaldirektorin der
Österreichischen Nationalbibliothek
hat man es in so einem Zeitalter nicht
leicht, oder?
rachinGer
_Unsere Aufgaben sind sehr viel-
fältig. Auf der einen Seite haben wir das
uns anvertraute kulturelle Erbe für späte-
re Generationen zu erhalten. Das beginnt
bei der Restaurierung von Büchern bis
hin zum Setzen von Präventivmaßnah-
men, um Beschädigungen erst gar nicht
aufkommen zu lassen. Auf der anderen
Seite haben wir die Herausforderungen
der modernen Informationstechnologien
anzunehmen – mit den Stichworten Di-
gitalisierung und Langzeitarchivierung.
Es ist ein großes Ziel unseres Hauses,
neben der physischen Bibliothek auch
eine virtuelle Bibliothek aufzubauen und
unsere Inhalte – soweit das möglich ist –
ins Netz zu bringen. Wir sehen darin vor
allem eine Demokratisierung des Wis-
sens: Menschen aus aller Welt können,
wenn sie einen Internetzugang haben, je-
derzeit auf diese Inhalte zugreifen. Dazu
kommt, dass unsere Benutzer dies auch
zusehends einfordern.
Um das möglich zu machen, setzen Sie
auf Google. Google ist aber nicht un-
bedingt bekannt für partnerschaftliche
Verträge – vor allem mit Verlagen.
rachinGer
_Wir sind sehr selbstbewusst in
die Verhandlungen mit Google gegangen,
und wir haben einen Vertrag abgeschlos-
sen, der es uns erlaubt, in den nächs-
ten Jahren unseren gesamten urheber-
rechtsfreien Buchbestand, das sind an
die 600.000 Bücher, zu digitalisieren und
darüber hinaus im Volltext zur Verfügung
zu stellen. Wesentlich ist, dass Google
kein Monopol auf diese Inhalte hat, son-
dern dass wir frei sind, sie sowohl über
unsere eigene Website als auch über
andere Partner anzubieten. Vereinbart
wurde auch, dass die Inhalte sowohl von
Google als auch von anderen Partnern
kostenfrei zur Verfügung gestellt werden
müssen. Das war eine wesentliche Vor-
aussetzung für den Vertragsabschluss,
ebenso wie die Übernahme der Kosten
für die Digitalisierung, den Transport
in das Digitalisierungszentrum und die
Versicherung. Ein enormer Vorteil für
uns, denn wir reden hier von Gesamt-
kosten von 40 Millionen Euro. Das hätten
wir nicht selbst finanzieren können. Wir
waren die erste Nationalbibliothek welt-
weit, die mit Google die Zusammenarbeit
gestartet hat, mittlerweile sind uns viele
gefolgt. Es muss eben immer jemand den
Mut haben und vorangehen.
Man kann also nun seit ein paar Jahren
von zu Hause aus auf die Datenbanken
zugreifen. Dennoch steigt die Zahl der
Lesesaalbenützer. Wie funktioniert
das?
rachinGer
_Ja, das ist sehr erstaunlich,
dass wir trotz immer mehr digitaler In-
halte im Netz steigende Besucherzahlen
vor Ort haben. Wir haben in den letzten
Jahren zwei zusätzliche Lesesäle gebaut,
um diesem Ansturm an Lesern gewach-
sen zu sein. Mit ein Grund ist, dass wir
unsere Services sehr stark ausgebaut
haben. Die Lesesäle unserer Bibliothek
haben mittlerweile täglich von Montag
bis Sonntag von 9 bis 21 Uhr geöffnet.
Wir sind somit die einzige europäische
Nationalbibliothek, die auch am Sonn-
tag geöffnet hat. Damit bieten wir auch
berufstätigen Menschen die Möglichkeit,
in unseren Lesesälen zu arbeiten, zu re-
cherchieren, zu forschen oder einfach
nur die internationalen Zeitungen zu
lesen. Mittlerweile haben wir am Sonn-
tag mehr Leser als während der Woche.
Darüber hinaus bieten wir einen freien
Internetzugang an, wir haben eine Lese-
lounge eingerichtet, in der man zwi-
schen den Arbeits- und Studierstunden